«LÖSUNGEN, DIE WIR GERNE IN 30 JAHREN NOCH HÄTTEN» / TEIL 2

Interview von Susanna Knopp und Markus Wassmer mit Kilian Stauss, Designer / stauss processform, München

In einem in der SZ*) erschienenen Beitrag „Sind wir denn ganz dicht?“ schreibt Gerhard Matzig, dass die Wohnungsnot in Deutschland auf eine soziale Katastrophe hinausläuft. Dabei spricht er von Hindernissen beim Schaffen von Wohnraum durch den immensen „Raumhunger“ und die einschnürenden Standardnormen des Wohnens. Er fordert einen zeitgemäßen, intelligenten, sehr viel dichteren und anders organisierten Wohnungsbau. Auch Du kritisierst die Kurzlebigkeit und das Modische bei den zeitgenössischen Wohnbauprojekten. Was sind Deine Visionen dazu?
*) Süddeutsche Zeitung Nr. 10, 13.01.2023

Es ist der Immobilien- und Wohnungswirtschaft in Deutschland in fast beispielloser Weise gelungen, einerseits eine fast monopolistische Position einzunehmen und andererseits durch künstliche Verknappung die Preise konstant im Steigen zu halten. Gerhard Matzig hat mit seinem beachtenswerten Artikel recht und es darf mit großer Süffisanz betont werden, dass gerade die seit Jahrzehnten sozialdemokratisch oder grün regierten Metropolen Deutschlands keine Ausnahmen darstellen, sondern hier sogar die extremsten Beispiele liefern. Man kann also von einem Politik- und Verwaltungsversagen sprechen. Wenn man gleichzeitig sieht, wie viel Geld in diesem Bereich verdient wurde und wird und wie teilweise Besteuerungen umgangen werden, ist klar, dass man für eine erfolgreiche Zukunft über andere Modelle wird nachdenken müssen. Das ist erst in zweiter Linie die Aufgabe von Stadtplanern, Architekten, Innenarchitekten und im Maßstab irgendwann der Designer, das Problem muss primär strukturell angegangen werden.

Für ein gutes, zukunftsweisendes Design ist hinderlich, dass die Träume der Stadtbewohner immer noch so bürgerlich geprägt sind: Das eigene Haus, der eigene Garten, das eigene Auto im Carport, der freistehende Pizza-Ofen und der Party-Grill. Das sind die noch nicht aufgearbeiteten 50er Jahre der Vereinigten Staaten. Mich interessiert beispielsweise der etwas paradoxe Fakt, dass das Wohnen in Städten deutlich ökologischer ist als das in der Fläche, obwohl es sich für die individuellen Bewohner genau andersherum anfühlt. Aber in der Stadt gibt es eben öffentlichen Nahverkehr, das vielfältige Teilen von Infrastruktur – und seien es auch nur die Ressourcen eines mehrstöckigen Hauses –, sowie Nachbarschaft und soziale Nähe. Und die Stadt ist tendenziell der tolerantere Ort.
 

 

Wir vertreten die Haltung, dass das Mehrgenerationenhaus eine der zentralen und ökonomischsten Lösungen hinsichtlich Nachhaltigkeit ist. Neben den sozialen Aspekten berücksichtigen wir Qualitäten der Dauerhaftigkeit und Ressourcenschonung. Wir versuchen bei unseren Wohnungsentwürfen auf Bewährtes zurückzugreifen, wie Bäder an der Fassade, natürlich belichtete Dielen, jederzeit zugängliche Haustechnik, Berücksichtigung der unterschiedlichen Bauteilzyklen, die Variabilität der Wohnungen usw. Dies mitunter auch mit dem Bewusstsein einer geschichtlichen Dimension der Architektur. Du sprichst beim Wohnungsbau von „Lösungen, die wir gerne in 30 Jahren noch hätten.“ An welche denkst Du dabei?

So sehr wir in dynamischen Zeiten mit großen Veränderungen leben: Die wesentlichen Bedürfnisse und Wünsche der Menschen bleiben gleich bis ähnlich. Man kann sich hier weiterhin an Abraham Maslow orientieren. Wir wollen erstens leben, überleben und benötigen Schutz vor lebensfeindlichen Bedingungen. Wir wollen auch als Art überleben, Nachwuchs bekommen und diesen aufziehen. Wir möchten nicht alleine sein und handeln, sondern als Teil unterschiedlicher Gruppen. Wir möchten wissen, welche Rollen wir in diesen Gruppen einnehmen. Wir wünschen uns Raum zur Entwicklung des eigenen Selbst auch jenseits der Gruppe oder der Familie. Und wir haben ein Bedürfnis nach Transzendenz.

Das bedeutet vermutlich auch noch in tausend Jahren für das Wohnen: Wir hätten gerne einen Ort, an dem wir über uns selbst bestimmen können. An dem wir geschützt sind. An dem wir leben und arbeiten können. An dem wir Gemeinschaft entwickeln und pflegen können. An dem wir uns weiterentwickeln können und lernen dürfen. Wo wir uns – in allen Altersstufen und Gruppierungen – treffen und austauschen können.

Wir werden also weiterhin essen, schlafen und uns pflegen und waschen müssen. Uns ausruhen. Arbeiten. Lernen. Spielen. Spaß haben.

Dazu wird es notwendig sein, den Begriff »Wohnen« vom Wohnzimmer und seiner Konnotationen »Couch«, »Couchtisch«, »Fernseher« oder »digitale Endgeräte« zu befreien und Wohnungen so zu planen, dass dort die Bewohner auch beispielsweise miteinander tanzen, Sport machen oder Hobbies nachgehen können, allein und gemeinsam.

 
 
Der Reiz des Rationellen
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